M. Beisenherz: Entschuldigung, ich bin persönlich hier. - Schock und Peinlichkeit über Nazi-Parolen auf Sylt
Jugendliche mit Moncler-Mänteln und Clubmaster-Sonnenbrillen auf Sylt gelten in Deutschland als Vorhut der wohlhabenden Gleichgültigkeit? Erstaunt lässt man sein weißes Moët-Glas fallen.
Eine Gruppe jubelnder BWL-Studenten hielt es vermutlich für einen cleveren Schachzug, Gigi D'Agostinos Hit "L'amour toujours" zu einem rhythmischen "Ausländer raus!" umzuschreiben, während sie auf der Freifläche des Pony Clubs auf Sylt feierten. Hitlerbart und Hitlergruß sind im Hintergrund angedeutet, so dass eine surreale Szene entsteht, die an einen Hoyerswerdaer in voller Jogginghose erinnert, der sich in einem alternativen Universum in einen hochrangigen Beamten verwandelt und mit der alten Mentalität aufläuft.
Um diesen moralischen Triumph festzuhalten, wurde es auch als notwendig erachtet, dieses Meisterwerk mit einem iPhone zu filmen und hochzuladen.
Was könnte die "wohlhabenden Jugendlichen" auf Sylt zu diesem Verhalten veranlasst haben?
Der Vorfall ereignete sich im Pony, einem beliebten Club auf der Sylter Whiskymeile in Kampen. Der Düsseldorfer Stadtteil Sylt, bekannt für Osnabrücker Immobilienmakler, die bei 28 Grad und einer leichten Brise mit ihren drei Huskys am Strand herumtollen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kinder aus wohlhabenden Familien ihre Verachtung für die Mittelschicht zum Ausdruck bringen. Aber so unverhohlen wie hier wurde noch nie mit dem Status einer Herrenrasse geflirtet. Rechtsradikal, aber mit einem Hauch von Sektencharakter.
Was könnte sie dazu veranlasst haben? Vielleicht haben die zahllosen mattschwarzen G-Klasse-Mercedes, die durch die Kneipen cruisen, einigen das Gefühl gegeben, dass die deutschen Panzer wieder rollen. Oder vielleicht ist diese erinnerungswürdige Menschenverachtung Teil einer elitären Gegenkultur, die mit solchen Aktionen der blauhaarigen postkolonialen Linken etwas entgegensetzen will. Aber es ist alles falsch gemacht worden. Vielleicht war der Kaschmirpulli ein bisschen zu eng um den Hals gebunden. Man ist verblüfft und verlegen.
Einige Eltern fragen sich vielleicht, ob Kindererziehung mehr ist, als dem kleinen Julius den Polokragen zu nähen, ihm die Kreditkarte in die weiße Jeans zu stecken und ihn mit einem Klaps auf den Po auf die Insel zu schicken. Natürlich könnte man auch annehmen, dass sie das fortsetzen, was morgens am Frühstückstisch zu Hause gesagt wird. Schließlich hat die AfD in den marginalisierten, finanziell angeschlagenen Gebieten und der berüchtigten Ostregion, aber auch in den bürgerlichen Gegenden Baden-Württembergs schon immer gute Werte erzielt.
Aber es ist Sylt!
Getrieben von der gerechten Wut des Bildungsbürgertums möchte man diese geschichtsvergessenen Idioten am liebsten an die Uni schicken. Bis man sich daran erinnert, was an deutschen Universitäten passiert. Du wärst froh, wenn sie ein paar Tage in einem Bottroper Supermarkt an der Kasse arbeiten würden. Penny statt Designerklamotten.
Da das Internet, angefüllt mit seinem intellektuellen Prestige, durch eine Mischung aus Aufmerksamkeitshunger und Selbstgerechtigkeit aus jedem Vorfall ein zusätzliches Desaster machen kann, wird nun auch das Pony, der Ort, intensiv unter die Lupe genommen. Die Tatsache, dass sich die Betreiber überzeugend distanziert haben - wen interessiert's! Soziologisch wird nun argumentiert, dass den Verantwortlichen das asoziale Gebrüll aufgrund des Schallwinkels zwischen Innen- und Außengastronomie kaum entgangen sein kann. Aber es ist natürlich Sylt. Die Insel, auf der Christian Lindner geheiratet hat und Karl-Heinz Rummenigge ein Haus besitzt. Ein bisschen wie Mordor mit Reetdach. Nachsicht kann man bei diesen Personen nicht erwarten. Es ist erstaunlich, wie gut sie in das Klischee passen. Es sieht aus, als wären sie für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimi gecastet worden, in dem die Unternehmer immer die Bösewichte sind.
Weitergabe der echten Namen - sind Sie bereit, mitzumachen?
Das Video wird jetzt gründlich geprüft, die Beteiligten können zur Rechenschaft gezogen werden, und natürlich gilt die Unschuldsvermutung: in dubio Prosecco. Politiker äußern sich entsetzt, Nancy Faeser hofft, diese Terrorzelle wenigstens unter Kontrolle zu bringen, und vor dem Pony hängen die ersten "Nazis raus"-Plakate. Ein "Fuck AfD"-Kapuzenpulli wird wohl kaum etwas an den grundsätzlichen Problemen ändern, die wir als Land mit rechtsextremen Ideologien und hohen Zustimmungswerten für deren politische Vertreter haben.
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Aber seien Sie gewarnt: Die junge Frau in dem Video und die drei Tenöre gehen jetzt auf Distanz zu allen, die beruflich oder privat mit ihnen zu tun haben. Der emotionale und öffentliche Schaden, den sie erlitten haben, ist erheblich.
Auch wenn man die Macht der sozialen Medien nutzen möchte, um die reichen Kinder für ihre Verbrechen büßen zu lassen, ist das, was sie getan haben, immer noch falsch, egal unter welchen Umständen. Die tausendfache Online-Veröffentlichung ihrer Namen und Bilder (wie es die BILD-Zeitung tut) mag sich wie eine rechtschaffene Handlung anfühlen, wenn sie einem guten Zweck dient, aber es ist dennoch ein Eingriff in ihre Privatsphäre. Bevor man sich also populären Impulsen anschließt, sollte man innehalten und überlegen, ob man wirklich Teil davon sein möchte.
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Quelle: www.stern.de