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Ein Jahrzehnt der heimlichen Geburten: verborgene Identitäten, die dennoch gut gepflegt werden.

Seit einem Jahrzehnt können schwangere Frauen in Deutschland in Notfällen diskret entbinden. Experten und Kritiker bewerten die Situation positiv und kritisch zugleich.

SymClub
2. Mai 2024
3 Minuten Lesedauer
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Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums haben bis Februar 2024 1166 Frauen im Vertrauen...
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums haben bis Februar 2024 1166 Frauen im Vertrauen entbunden.

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Wohlbefinden - Ein Jahrzehnt der heimlichen Geburten: verborgene Identitäten, die dennoch gut gepflegt werden.

Manchmal ist es die Angst vor einem gewalttätigen Vater, manchmal ist es die Angst vor der eigenen Familie, und manchmal ist es die wirtschaftliche oder psychische Abhängigkeit, die einige schwangere Frauen dazu zwingt, ihre Schwangerschaft vor den Menschen zu verbergen, die ihnen am nächsten stehen. Aber wo bringen diese Frauen ihr Kind zur Welt? Und was geschieht danach mit dem Kind? Seit 2014 gibt es in Deutschland für Frauen in besonders schwierigen Lebenslagen die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt.

Mit dieser Möglichkeit sollen Kindstötungen und Aussetzungen verhindert und den Kindern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Herkunft zu entdecken, was nach Ansicht von Experten für ihre persönliche Entwicklung unerlässlich ist. Die vertrauliche Geburt, die am 1. Mai 2014 eingeführt wurde, ist eine legale Alternative zu Babyklappen und anonymen Eingängen.

Der erste Schritt ist die Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle "Schwangere in Not", die rund um die Uhr in 19 Sprachen unter 0800 40 40 020 erreichbar ist. Hier wird die werdende Mutter an eine Schwangerschaftsberatungsstelle verwiesen. Die Beraterin, die als Einzige die tatsächliche Identität der Frau kennt, trägt ihre Daten in eine Geburtsurkunde ein, die in einem versiegelten Umschlag sicher aufbewahrt wird. Der Umschlag enthält Angaben zu Datum und Ort der Geburt, das Pseudonym der Frau und den Namen des Kindes. Nach der Geburt wird das Kind dem Sozialdienst anvertraut und nach etwa einem Jahr zur Adoption freigegeben, wenn die Mutter ihre Anonymität nicht aufgibt. Mit sechzehn Jahren erwirbt das Kind das Recht, die Personalien seiner Mutter zu erfahren, es sei denn, die Mutter widerspricht aktiv aus wichtigen Gründen. In solchen Fällen entscheidet ein Familiengericht über das weitere Vorgehen.

Bis zum Februar 2024 haben sich insgesamt 1166 Frauen für eine vertrauliche Geburt entschieden. Dies geschah mit einer konstanten Rate von etwa zehn Fällen pro Monat. Von den Bundesländern selbst wurden keine Daten erhoben, aber die Häufigkeit der Fälle pro Jahr ist relativ gering und stellt einen erheblichen Aufwand dar, der von den Notdiensten bis zu den Standesämtern reicht. So verzeichnete Bayern, das zweitbevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands, im Jahr 2022 nur 17 Fälle von vertraulichen Geburten.

Die Motive für eine vertrauliche Geburt, so Evi Kerkak, Expertin von Donum Vitae in Bayern, sind vielfältig und persönlich. Bundesweit wegweisend ist das 1999 vom Verein Donum Vitae ins Leben gerufene "Moses-Projekt", das schwangeren Frauen in turbulenten Lebenssituationen hilft. Es ermöglichte Frauen in Bayern, anonym zu entbinden, was letztlich zu vertraulichen Geburten führte.

Angst ist laut Kerkak einer der Hauptgründe für diese Entscheidung. Eine Frau befürchtet beispielsweise, in ihrem Heimatland zwangsverheiratet zu werden, wenn ihre Schwangerschaft entdeckt wird. Eine andere Mutter befürchtet, vom Vater des Kindes ermordet zu werden, wenn sie die Schwangerschaft nicht abbricht und einem anderen Ehepartner nachstellt. Wieder andere befürchten den Verlust ihrer Existenzgrundlage oder die Zerrüttung ihrer Familienstruktur.

Der zweite wichtige Faktor ist laut Kerkak die Scham. Frauen, die bereits von der Jugendhilfe abhängig sind und unerwartet wieder schwanger werden, sind möglicherweise besonders gefährdet. Gleiches gilt für diejenigen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben. Der dritte Faktor ist die psychische Instabilität. Der vorherrschende Gedanke der Frauen? "Ich kann nicht einmal für mich selbst sorgen; wie soll ich mit einem Baby fertig werden?"

Ein routinemäßiges Adoptionsverfahren ist für die Mütter oft keine Alternative, da sie in verschiedenen Teilen der Gesellschaft gemieden werden und zahlreiche Stellen - von Krankenkassen bis zu Notaren - von der Geburt erfahren. "Der Wunsch nach Anonymität, oft nicht für das Kind, sondern für die Umgebung", betont Yvonne Fritz vom Katholischen Frauendienst Deutschlands.

Die meisten Fachleute in diesem Bereich befürworten die vertrauliche Geburt als "besten denkbaren Kompromiss", auch wenn sie zugeben, dass sie Kindermorde oder Aussetzungen, die in der Regel überstürzt vorgenommen werden, kaum verhindert. Sie äußern jedoch Vorbehalte: So werden beispielsweise Personen, die sich nicht ausweisen können oder sich illegal in Deutschland aufhalten, anonym behandelt, was eine rechtliche Unmöglichkeit darstellt. Darüber hinaus gibt es weder eine gesetzliche Regelung noch finanzielle Mittel für schwangere Frauen, um registrierte Einrichtungen zu erhalten, die sie während der Geburt schützen.

Freiberuflerinnen, die eine vertrauliche Geburt anstreben, könnten davon abgehalten werden, weil sie die finanzielle Verantwortung für die Entbindung tragen müssen, aber nicht alle Betroffenen haben einen Versicherungsschutz. Außerdem plädieren viele für einen bestimmten Zeitrahmen, nach dem ein Kind zur Adoption freigegeben wird.

Nach zehn Jahren Praxis wünschen sich die Befürworter der vertraulichen Geburt mehr Anerkennung für diese Mütter, was möglicherweise mehr Menschen dazu ermutigen könnte, sich für eine geregelte Adoption zu entscheiden, die sowohl für die Mutter als auch für das Kind erhebliche Vorteile mit sich bringt. Pinne vom Verein pro familia-Beratungsstellen bekräftigt, dass eine konsequente Wertschätzung dieser Frauen wichtig ist: "Die meisten Frauen in der Beratung sagen, für mich ist das Wichtigste, dass es dem Kind gut geht, und trotzdem glauben sie, dass sie schlechte Mütter sind", bemerkt Heike Pinne, "aber sie sorgen dafür, dass ihr Kind in guten Händen landet."

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    Quelle: www.stern.de

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