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"Dort habe ich Zugang zu meinen Gedanken"

Als "Powerfrau" in der rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder spielte die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt (80) drei Jahre lang (2002-2005) eine entscheidende Rolle. Sie trug unter anderem dazu bei, das Elterngeld einzuführen, die Tagespflege zu legalisieren und...

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19. Mai 2024
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SPD-Urgestein Renate Schmidt diskutiert über die Ampel-Allianz. - "Dort habe ich Zugang zu meinen Gedanken"

Renate Schmidt erkannte schon früh die Bedeutung der Politik für Frauen und Familien, als sie mit 17 Jahren schwanger wurde und 1961 von der Schule flog. Die Begründung für ihren Rauswurf lautete: "Du hast Schande über unsere Schule gebracht."

Diese Erfahrung weckte in ihr den lebenslangen Wunsch, dafür zu sorgen, dass niemand jemals einer jungen Frau sagen würde, sie hätte etwas entehrt, indem sie schwanger wurde und ein Kind zu bekommen plante.

Schmidt fand sich in ihren späteren Jahren in einer politisch schwierigeren Situation wieder; einmal sagte sie: "Es ist viel einfacher, wenn man mit zwei Partnern regiert statt mit drei. Und diese drei Partner standen sich nicht besonders nahe." Die Machtverhältnisse waren in ihrer Ära deutlicher. Da die SPD deutlich stärker war, hätte Schmidt leicht neidisch werden können, nicht unter den heutigen Bedingungen zu regieren. "Ich bin manchmal froh, dass ich jetzt nicht regieren muss."

Mit 17 schwanger (von der Schule als

Als Familienministerin befasste sich Schmidt mit dem von der grünen Ministerin Lisa Paus vorgeschlagenen Betreuungsgeld, das sie für wenig erfolgreich hielt. Sie sagte: "Ich hätte mich nie getraut, vorzutreten und zu erwähnen, dass man dafür 5.000 neue Mitarbeiter braucht. Mir wäre schwindelig geworden, wenn ich das auch nur angedeutet hätte."

Schmidt regierte einst unter Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Seite namhafter Persönlichkeiten wie dem Finanzmann Hans Eichel und Wolfgang Clement (Wirtschaft). Schröder hatte die Familienpolitik als überbewertetes Anliegen abgetan. Schmidt hatte sogar intern zu kämpfen, um voranzukommen: "Als wir keinen Pfennig an Mitteln hatten, habe ich trotzdem das Kita-Ausbaugesetz durchgebracht. Ich musste Clement und Eichel pausenlos bedrängen, um diesen Sieg zu erringen." Sie hat die Einwände der Bundesländer umgangen und das Gesetz einstimmig im Bundestag und Bundesrat durchgebracht, allerdings bei Enthaltung der CDU.

Für Gerhard Schröder war Familienpolitik mehr als nur

Schmidt kommentierte Schröders vermeintliche "Vasallentreue" und eine "absurde Freundschaft" mit dem ehemaligen sowjetischen Staatschef Wladimir Putin. Als die Partei ihn aus der Partei warf und sie ihren 80. Geburtstag erreichte, fiel ihre deutliche Zustimmung zu seinen Leistungen auf: "Ich denke, er hat mehr erreicht als das, wofür er kritisiert wird." Die Idee, den Ex-SPD-Vorsitzenden aus der Partei zu verdrängen, lehnte Schmidt weiter ab, da sie dies für "unsinnig" halte.

Ein Mann wie Schröder, so Schmidt, könne mit seinem Charisma die heutigen Wahlen gewinnen. "Er erreicht die Menschen mit seinem Charisma. Das ist heute anders."

Ex-Minister Schmidt im BILD-Gespräch mit Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald (59). Das Interview fand in der SPD-Zentrale am Nürnberger Hauptbahnhof statt.

Nach 2009 distanzierte sich Schmidt von ihrer politischen Karriere und trat nicht mehr für die SPD an. "Meine Bewegungsmöglichkeiten sind zu eingeschränkt. Ich habe Arthrose - der Verschleiß meiner Gelenke holt mich ein. Wenn ich einen Stock brauche, benutze ich ihn. Wenn ich eine Gehhilfe brauche, benutze ich sie. Aber ich kann immer noch einen Audi Q3 mit Verbrennungsmotor fahren." Vor überragenden Persönlichkeiten wie Brandt, Wehner und Schmidt hat sie sich in der Vergangenheit allerdings gefürchtet. "Diejenigen, die heute etwas zu sagen haben, kenne ich von Anfang an. Damals war ich kein Niemand."

Eine aktuelle Persönlichkeit, die Schmidt respektiert, ist Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie schätzt seine Bemühungen, die Deutschen "in dieser prekären Situation" in der Ukraine zu schützen und die deutschen Interessen in den Vordergrund zu stellen. "Das freut mich sehr und das verdient meinen Respekt."

Von 1991 bis 2000 führte Schmidt die bayerische SPD (hier 1998) und gehörte bis 2005 dem SPD-Parteivorstand an. Als Spitzenkandidatin in Bayern verlor sie zweimal gegen die CSU

In Bezug auf Scholz fand Schmidt ihn "zu parteipolitisch. Er ist nicht bereit, die Interessen seiner Partei zurückzustellen, um sich auf das Land und die Bedürfnisse der Koalition zu konzentrieren. Das kann ermüdend sein." Sie bescheinigte ihm zwar eine gute Arbeit, bemängelte aber die dilettantische Vorbereitung des Heizungsgesetzes und die mangelhaften Vorverträge. "Es wäre besser gewesen, diese vorher abzuschließen."

Schmidt äußerte sich zurückhaltend gegenüber einer anspruchsvollen Version von moralischer Außenpolitik. "Wir können nicht Moral fordern und dann Saudi-Arabien um billige Energie oder grünen Wasserstoff bitten. Oder an einem Tag Chinas Staatschef als Diktator verspotten und am nächsten Tag einer engen Wirtschaftsbeziehung mit ihm zustimmen und ihn um seine seltenen Erden bitten."

In Ehrfurcht vor Willy: Schmidt in den 1980er Jahren mit SPD-Chef und Partei-Ikone Willy Brandt (†1992)

Und wie lautet ihre Einschätzung der heutigen Politiker?

Schmidt: "Sie machen das sehr gut, abgesehen davon, dass Sie den Begriff 'Kriegsfähigkeit' verwenden. Ich bevorzuge 'Verteidigungsfähigkeit'."

Schmidt-Kritik: Lob für Kanzler Olaf Scholz (

"Für sie bleibt 'Pazifismus' ein sauberes Wort, aber die Regierungskoalition muss die Ukraine aufrüsten - mit Vorsicht, mit Blick auf die mögliche Reaktion Putins: 'Ich bin mir nicht sicher, ob sie versuchen, in Putins Kopf zu kommen', aber Scholz und Pistorius sollten sich Gedanken über die mögliche Reaktion Russlands machen, meint er."

Schmidt: "Ich glaube, viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht angesprochen werden. Die Sorgen des Durchschnittsbürgers, der wegen der hohen Mieten nicht in München wohnen kann und 60 Kilometer zur Arbeit pendeln muss. Sie werden sich nicht dazu überreden lassen, jetzt ein teures Elektroauto zu kaufen. Wie sollen sie es sich denn leisten? Sie sind gezwungen, mit ihren alten benzinbetriebenen Fahrzeugen in die Stadt und zurück zu fahren, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Diese Menschen fühlen sich oft übergangen. Es würde uns gut tun, wenn wir uns weniger um die Menschen in den Großstädten und mehr um die kümmern würden, die das Land am Laufen halten. Es gibt viele von ihnen, und sie verdienen mehr Aufmerksamkeit."

Von

In Nürnberg hat Schmidt einen "Pakt für Demokratie" ins Leben gerufen: "Zammrüggn" will bis Ende des Jahres 100.000 Unterschriften aus allen Parteien (SPD, CSU, FDP, Grüne) sammeln - für ein geschlossenes Auftreten gegen Extremisten von rechts oder links.

Vieles von dem, was der Politiker sagt, klingt ein bisschen wie "die gute alte Zeit". Doch auch diese Zeiten waren nicht ohne Makel. Damals waren Frauen in der Politik auf das Wohlwollen der Männer angewiesen. Renate Schmidt meldete sich zu Wort - mit Charme und, wenn nötig, auch mit feuriger Zunge: "Ich bin kein Fan von Friede, Freude, Eierkuchen." Manchmal muss man streiten und kämpfen.

Seit 1972 leben sie in Nürnberg: Renate Schmidt und ihr (zweiter) Ehemann, der Maler Hasso von Henninges (81). Zur Familie gehören drei Kinder, sieben Enkelkinder und zwei Urenkel.

Heute sagt sie über Männer: "Mit 20 wollte ich den Männern gefallen. Mit 30 wollte ich besser sein als sie. Mit 40 waren sie mir egal..."

Und, wirklich? "Natürlich will ich immer noch meinem Mann gefallen. Männer sind nicht mein Vorbild."

Keine Armbanduhr - Renate Schmidt weiß immer, wie spät es ist, sagt sie.

Ihr Vorschlag: "Wir sollten uns bemühen, kompetente, respektierte Frauen zu sein. Vielleicht sollten wir Frauen als Maßstab für Männer nehmen."

Es ist schon fast eine Stunde vergangen, und Schmidt weiß das, ohne auf die Uhr zu schauen: "Ich habe noch nie eine Uhr gebraucht, ich weiß die Zeit immer instinktiv bis auf fünf Minuten genau. Und auch nachts: Wenn ich um 7 Uhr aufstehen muss, stehe ich um 6.55 Uhr auf. Die Einfachheit der Union: ihre Handtasche (kein Designer), ihr Handy (Samsung) mit ein paar Apps.

Seit 52 Jahren ist Renate Schmidt aktives Mitglied der SPD. Vor 15 Jahren zog sie sich aus der Politik zurück - sie wollte "verschwinden". Jetzt hat sie sieben Enkel und zwei Urenkel - und eine Gewissheit: Die Elternzeit, die sie als Bundesministerin eingeführt hat (und die ihre CDU-Nachfolgerin Ursula von der Leyen aufgegriffen hat), hat es ihren Kindern und Enkeln leichter gemacht, sich für Kinder zu entscheiden. Aber was noch wichtiger ist: "Sie haben von zu Hause aus Zuversicht bekommen, den Glauben an ihre Fähigkeit, das Leben zu meistern. Ohne dieses Vertrauen kann man keine Kinder großziehen." [SR5]

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Quelle: symclub.org

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